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Kommunikatives Handeln bei Habermas

Vor diesem Hintergrund der sozialen `Wirklichkeitserzeugung' durch Kommunikation gewinnt der Rationalitätsbegriff, wie Habermas ihn definiert, erneut an Schlagkraft, denn wenn Vernunft sich auf die Wirklichkeit beziehen soll, diese Wirklichkeit aber großteils die Folge von Kommunikation ist und daher mit dieser schlagartig wechseln kann, so muß die Vernunft ebenfalls kommunikativ strukturiert sein. Wir müssen aber, um im Sinne der kritischen Theorie vom Subjekt vernünftige Handlungen einfordern zu können (und somit seine Mündigkeit zu fordern), noch das Problem des Subjektbegriffs klären.

In [#!Ha81!#] fügt Habermas in Anlehnung an Popper der objektiven Welt (Wirklichkeit erster Ordnung) und der sozialen Welt (Wirklichkeit zweiter Ordnung) eine dritte Wirklichkeit hinzu: die subjektive Welt.44 Damit wird kommunikatives Handeln (das wir im folgenden als die gesuchte Erweiterung des funktionalistischen Kommunikationsbegriffs betrachten wollen) als die Verbindung der drei Welten in der gemeinsamen Lebenswelt betrachtet:

`Mit diesem Handlungsmodell wird unterstellt, daß die Interaktionsteilnehmer das Rationalitätspotential, das nach unserer bisherigen Analyse in den drei Weltbezügen des Aktors steckt, ausdrücklich für das kooperativ verfolgte Ziel der Verständigung mobilisieren. Wenn wir von der Wohlgeformtheit des verwendeteten symbolischen Ausdrucks absehen, muß ein Aktor, der in diesem Sinne an Verständigung orientiert ist, mit seiner Äußerung implizit genau drei Geltungsansprüche erheben, nämlich den Anspruch
- daß die gemachte Aussage wahr ist (bzw. daß die Existenzvoraussetzungen eines nur erwähnten propositionalen Gehalts tatsächlich erfüllt sind);
- daß die Sprechhandlung mit Bezug auf einen geltenden normativen Kontext richtig (bzw. daß der normative Kontext, den sie erfüllen soll, selbst legitim ist) ist; und
- daß die manifeste Sprachintention so gemeint ist, wie sie geäußert wird.'45

Kommunikationshandlungen werden also unter drei `Geltungsansprüchen' vollzogen, die für den oder die Kommunikationspartner zu prüfen sind: Beziehung zur Realität, normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit. Habermas selbst gibt u.a. folgendes Beispiel:

`Nehmen wir an, daß ein Seminarteilnehmer die an ihn gerichtete Aufforderung des Professors
(7) Bitte, bringen Sie mir ein Glas Wasser
nicht als nackte imperativistische Willensäußerung, sondern als einen in verständigungsorientierter Einstellung vollzogenen Sprechakt versteht. Dann kann er diese Bitte prinzipiell unter drei Geltungsaspekten zurückweisen. Er kann entweder die normative Richtigkeit der Äußerung bestreiten:
(7') Nein. Sie können mich nicht wie einen Ihrer Angestellten behandeln
oder er kann die subjektive Wahrhaftigkeit der Äußerung bestreiten:
(7'') Nein, eigentlich haben Sie ja nur die Absicht, mich vor anderen Seminarteilnehmern in ein schiefes Licht zu bringen
oder er kann bestreiten, daß bestimmte Existenzvoraussetzungen zutreffen:
(7''') Nein, die nächste Wasserleitung ist so weit entfernt, daß ich vor Ende der Sitzung nicht zurück sein könnte.'46

Im Sinne des Gefangenendilemmas sieht eine Lösung also folgendermaßen aus: a muß b mitteilen, wie seine Abschätzung der Situation lautet (inklusive der möglichen Angst, b könnte ihn betrügen. b muß dann diese Mitteilung unter den Gesichtspunkten der objektiven Wahrheit, normativen Richtigkeit und subjektiven Wahrhaftigkeit beurteilen (wobei ihm die Beurteilung des letzten vermutlich am schwersten fallen wird) und die sich ihm ergebenden Defizite wiederum a mitteilen. Dieser kann damit erneut auf die sich ihm ergebenden Defizite hinweisen und ein Iterieren des Verfahrens kann derart zu Verständigung führen, daß die beiden Spieler kooperieren.47



 
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Tim Paehler
1999-03-23