I.3 Nutation des kräftefreien Kreisels

 

Der ruhende kräftefreie Kreisel ist im Schwerpunkt gelagert und in jeder seiner Stellungen (auch in Schräglage) im Gleichgewicht (indifferentes Gleichgewicht).

 

Nun drehe sich der kräftefreie symmetrische Kreisel mit der Winkelgeschwindigkeit w z um seine Figurenachse und habe insgesamt den Drehimpuls L =I w, wobei L = konstant. Es bestehen zwei Möglichkeiten.

I.3.1 Schlafender Kreisel (Fall 1)

Rotiert der Kreisel nur um seine Figurenachse, so liegt die Rotationsachse in der Symmetrieachse (=Figurenachse) und somit auf einer Hauptträgheitsachse. (Beschleunigen wir den Kreisel per Hand, so halten wir dabei meist instinktiv die Lage der Figurenachse konstant.) Demnach liegen der Drehimpulsvektor L und der Drehvektor  w beide auf dieser Achse bewegungslos im Raum. Ignoriert man die Eigendrehung des Kreisels ("bei unscharfem Hinsehen") scheint der Kreisel, meist in Schräglage, im Raum zu ruhen. Es gilt:

L I w z = (0, 0, Lz) = (0, 0, Iz w z). und folglich w = wz (|L| = L = Lz = Iz wz).

 

I.3.2 Nutierender Kreisel (Fall 2)

 

Erteilt man dem Kreisel einen Drehimpuls um eine beliebige Achse, so fallen der Drehimpuls L und der Drehvektor w nicht mehr zusammen. Der Kreisel vollführt zusätzlich zu seiner Eigendrehung w z um seine Symmetrieachse eine Kreisbewegung W Nut um die im Raum feste Impulsachse L (Bild 3.1). Diese Drehbewegung bezeichnen wir als Nutation ## "Nutation" von "nutare" (lat.) = nicken, schwanken, oft auch als reguläre Präzession oder kräftefreie Präzession bezeichnet. Sehen Sie hierzu KapitelI.6 Namengebung.

Der Begriff der Nutation wird in der Astronomie in anderer Bedeutung verwandt. ## .

Betrachten Sie hierzu auch die beiliegende Animation des kräftefreien Kleinschen Kreisels. Im Experiment erreichen Sie eine Nutation, wenn Sie entweder den kräftefreien Kreisel am Rand fassen und in Rotation versetzen, ohne seine Figurenachse festzuhalten, oder indem Sie dem schlafenden Kreisel einen Schlag auf die Figurenachse erteilen.

Bild 3.1 Die Figurenachse eines kräftefreien Kreisels nutiert um die Raumfeste Figurenachse

mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnommen aus: Klein/Sommerfeld, Theorie des Kreisels, Bd 1, © 1923 B.G. Teubner Stuttgart und Leipzig.

Betrachten wir eine beliebige Momentaufnahme ## Sie machen sozusagen ein Foto mit unendlich kurzer Belichtungszeit. ## dieser Bewegung, so erhalten wir das Bild 3.1: die ortsfeste Achse W Nut steht im Allgemeinen schief im Raum.

Wir wählen für diesen beliebigen Zeitpunkt t die y-Achse des körperfesten Koordinatensystems senkrecht zu der von L und der z-Achse (Figurenachse) aufgespannten Ebene. Dann gilt für die y-Komponente LIy w= 0 und es ist

(3.1) L = (Lx, 0, Lz) = (Ix wx, 0, Iz wz ).

 

Figurenachse (z-Achse), Drehimpuls L und Winkelgeschwindigkeit w liegen folglich immer in einer Ebene (Bild 3.2), so daß w in den Richtungen von L und der Figurenachse z in Komponentenvektoren zerlegt werden kann ?? Nach Kuypers, 1993. ?? (Bild. 3.3).

 

(3.2) w  W Nut w F.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Punkte der Figurenachse mit den Ortsvektoren r = (0, 0, rz) besitzen die Geschwindigkeit v = w ´ r = W Nut ´  rz senkrecht zu L und zur z-Achse. Jeder Punkt der Figurenachse durchläuft folglich einen Kreis senkrecht zum raumfesten Drehimpuls. Die Figurenachse insgesamt bewegt sich auf dem Mantel eines Kegels, dem Nutationskegel, mit der Spitze im Drehpunkt und dem Öffnungswinkel q zwischen Drehimpuls und Figurenachse. Ebenso durchläuft auch der Vektor der Winkelgeschwindigkeit einen Kegel, den Herpolhodiekegel oder Rastpolkegel.

 

Aus w= W Nut  sinq, L= Ix w x und L= Lsinq (s. Bild 3.3 ## Die in Bild 3.3 mit Ebene L bezeichnete Gerade ist die um eine Dimension reduzierte Tangentialebene L des Energieellipsoids im Berührpunkt mit w (s. Poinsotsche Projektion). ## ) folgt für den Betrag von W Nut

(3.5) .

Für den Betrag der Winkelgeschwindigkeit des Kreisels um seine Figurenachse im momentanen Raumsystem findet man entsprechend

. (Sehen Sie hierzu auch 3.7 mit Bild 3.12)

Bei einem Kugelkreisel ist jede der durch den Schwerpunkt verlaufenden Drehachsen gleichzeitig Figurenachse und demzufolge raumfest. Zeichnet man jedoch eine spezielle Figurenachse aus — indem man etwa einen Punkt P als "Durchstoßungspunkt" auf der Oberfläche markiert, so nutiert i. allg. auch der Kugelkreisel: mit I= I= Iz folgt w z = W Nut cosq ; P durchläuft eine Kreisbahn mit der Winkelgeschwindigkeit W Nut.

 

 

 

 

 

 

I.3.3 Visualisierung der momentanen Drehachse

 

Hat der Kreisel einen festen Punkt, so besitzt er zu jeder Zeit eine durch diesen Punkt laufende Drehachse w, um welche er im betreffenden Moment rotiert. Mit einer von Maxwell ?? Maxwell, Transact. Soc. of Arts 1855. ?? angegebenen Methode läßt sich die Existenz und Lage der momentanen Drehachse w des rotierenden Kreisels direkt mit dem Auge wahrnehmen. Maxwell befestigt zu dem Zwecke an der Figurenachse des Kreisels eine Pappscheibe, auf die verschiedenfarbige Kreissegmente gemalt sind. Bei der Bewegung verschwimmen die Farben aufgrund der Trägheit der Augen und nur am Durchstoßpunkt der momentanen Drehachse durch die Scheibe sieht man die Farbe eines Segments, die langsam wechselt und damit die Wanderung der momentanen Drehachse durch die einzelnen Segmente anzeigt. Befestigt man eine Farbscheibe mit konzentrischen Ringen (in Bild 3.4 rechts) so durchläuft der Drehvektor w eine Farbe. Aufgrund der Reibung durchläuft der Drehvektor im Experiment - man kann den Filmt man die Scheibe, so kann man in der Zeitlupe die Lagen der 3 Achsen zueinander beobachten (vgl. Bild 3.2).

 

 

I.3.4 Kegeldarstellung nach Poinsot ?? Poinsot: Théorie nouvelle de la rotation des corps, Paris 1834. ??

 

Die im Körper feste Figurenachse, die im Raum feste Drehimpulsachse und die weder im Raum noch im Körper feste Drehachse liegen in einer Ebene und bilden dabei stets den gleichen Winkel miteinander. Die Ebene dreht sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um die Impulsachse L (vgl. Bild 3.2).

Man kann die Bewegung auch so beschreiben, als ob der in Bild 3.5 gezeichnete, im Kreisel feste Polhodiekegel ## Polhodiekegel = "Weg, auf dem der Drehpol entlangkriecht", (grch.) kriechen e r p e i n , auch Gangpol- oder Polkegel. ## , der die Figurenachse als Symmetrieachse hat, mit konstanter Geschwindigkeit auf dem im Raum festen Herpolhodiekegel ## Herpolhodiekegel = "Weg der Drehpole", auch Spur-, Raum-, oder Rastpolkegel. ## ohne zu gleiten abrollt.

Der Endpunkt des Drehvektors w beschreibt sowohl im raumfesten als auch im beweglichen System eine Kurve (Herpolhodie- und Polhodiekurve) und gleichzeitig mit den Kegeln rollen auch diese Kurven aufeinander ab.

Beim prolaten Kreisel wandert der Drehvektor auf beiden Kegeln gegensinnig, beim oblaten gleichsinnig.

 

Bild 3.5 mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnommen aus: Grammel, R. Der Kreisel, 2. Auflage, Bd.1, © Springer, 1950, S. 54 Abb. 49 und 50.

 

I.3.5 Die Poinsotsche Konstruktion

?? Nach H. Volz, 1971, Kap. 22, Müller/Pouillet,1929 §5,§6 und Klein/Sommerfeld, Bd. 1, 1923. ??

Energie- und Drehimpulsellipsoid

 

Bisher betrachteten wir ausschließlich die Nutation des symmetrischen Kreisels. Die folgende Konstruktion behandelt den allgemeinen, kräftefreien Kreisel. Wir gehen von dem raumfesten Drehpunkt (bzw. dem Schwerpunkt) aus und tragen in diesem einerseits den zeitlich konstanten Drehimpulsvektor L, andererseits den variablen Vektor w der Drehgeschwindigkeit ein. Wegen (1.13 Seite 13)

Ekin = ½ w L muß die Projektion von w auf L (vgl. Bild 3.6 und 3.11 Seite 28) während der Bewegung konstant bleiben, die Endpunkte von w liegen also auf einer raumfesten, zu L senkrechten Ebene L .

Andererseits liegt der Endpunkt von w nach (1.14 Seite 13) auf dem zur Energie Ekin gehörigen Energieellipsoid, dessen Normale im Endpunkt die Richtung von L hat, dessen Tangentialebene also die Ebene L ist. Da das Energieellipsoid körperfest ist und an der Bewegung des Kreisels teilnimmt, können wir mit seiner Hilfe die ganze Drehbewegung darstellen.

Bei festgehaltenem Mittelpunkt erfolgt diese so, daß das Energieellipsoid ständig die Ebene L berührt und auf dieser ohne zu gleiten abrollt. Die aufeinanderfolgenden Drehvektoren liefern in der Ebene L eine Kurve, die Herpolhodiekurve, welche die Bahn des Drehvektors w im Raum beschreibt und auf der Oberfläche des Ellipsoids die Polhodiekurve, welche den Kegel der körperfesten, momentanen Drehachsen bestimmt und die sich leicht noch in anderer Weise näher festlegen läßt: Wegen der Konstanz von L müssen die Punkte auf dem Ellipsoid so liegen, daß

 

Ix2 w x2 + Iy2w y2 + Iz2w z2 = Lx2 + Ly2 + Lz2 = L2

 

ist. Durch diese Forderung ist neben dem Energieellipsoid noch ein zweites Ellipsoid definiert, auf welchem w  = (w x, w y, w z) liegen muß. Da es aus der Drehimpulskonstanz gebildet wurde, nennen wir es Drehimpulsellipsoid, das sich vom Energieellipsoid durch die quadratisch auftretenden Hauptträgheitsmomente unterscheidet. Das Drehimpulsellipsoid hat also ein "extremeres" Achsenverhältnis als das Energieellipsoid. Eine physikalisch mögliche Bewegung gibt es nur dann, wenn die vorgegebenen Werte von Ekin und L2 so beschaffen sind, daß sich die beiden Ellipsoide schneiden.

 

Wie die durch den Vektor w auf dem Energieellipsoid beschriebenen Kurven aussehen, machen wir uns am besten folgendermaßen klar (Bilder 3.7 und 3.8): Wir geben einen bestimmten Wert der Rotationsenergie Ekin = E0 vor und betrachten alle möglichen Werte von L2. Bei zu kleinen Werten von L2 liegt das Drehimpulsellipsoid ganz innerhalb des Energieellipsoids, es gibt also keine gemeinsamen Punkte.

 

Mit wachsendem L2 berührt das Drehimpulsellipsoid das Energieellipsoid zuerst von innen an den Enden der größten Halbachse und dringt bei weiter anwachsendem L2 durch diese Scheitelpunkte nach außen. Es entstehen um die beiden Schnittpunkte herum zwei geschlossene Schnittkurven, die sich mit wachsendem L2 erweitern und sich immer weiter zu den Scheiteln der mittleren Halbachse hin verziehen.

Sobald die mittlere Halbachse des Drehimpulsellipsoids von innen an die entsprechenden Scheitelpunkte des Energieellipsoids herankommt, schließen sich die beiden Kurven zu einer einzigen verschlungenen Kurve zusammen, um mit weiter wachsendem L2 wieder in zwei Zweige zu zerfallen und sich schließlich um die Scheitel der kleinsten Halbachse herum zusammenzuziehen.

Wir betrachten zunächst eine Drehung um die Hauptachse des größten Trägheitsmomentes. Zu einer solchen gehört für vorgegebenes E0 ein ganz bestimmter Wert von L0. Wenn wir eine der beiden Größen oder beide durch eine kleine äußere Einwirkung, etwa einen kleinen Anstoß, verändern, so wird das Verhältnis der beiden Größen verändert, der Drehvektor wird im Körper eine der Polhodiekurven durchlaufen, die sich nahe der Achse des größten Trägheitsmomentes befinden. Vom raumfesten System aus gesehen wird also die Hauptachse eine kleine Taumelbewegung ausführen, sich aber nie sehr weit von ihrer ursprünglichen Richtung entfernen. Das gleiche gilt, wenn wir von einer Drehung um die kleinste Hauptträgheitsachse ausgehen. Auch hier wird eine kleine Störung nur eine kleine Schwankung der Figurenachse nach sich ziehen. Anders ist es bei der Achse des mittleren Trägheitsmomentes. Auch für diese ist im Prinzip eine ständige Drehung unter Beibehaltung der Raumrichtung möglich. Eine noch so kleine Störung führt aber dazu, daß der Drehvektor w eine Bahn durchläuft, die der verschlungenen Kurve unmittelbar benachbart ist, wobei die — in Wirklichkeit raumfeste — Flächennormale vom Körper aus gesehen diesen rings umläuft. Von außen gesehen heißt das, daß der Körper bei dieser Bewegung sich vollständig "überkugelt". Man nennt deshalb die Achsen des größten und des kleinsten Trägheitsmomentes die stabile oder freie Drehachse, diejenige des mittleren Trägheitsmomentes die labile Drehachse eines Körpers.

Bild 3.7 mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnommen aus: Klein/Sommerfeld Theorie des Kreisels, © B. G. Teubner Stuttgart und Leipzig, 1923, Bd. 1, 3. Auflage, Fig. 18,19,20.

 

Heimversuch II:

Suchen Sie sich einen Quader. Ein altes Buch mit festem Einband, das Sie mit Tesafilm zukleben, damit es nicht aufklappt, birgt weniger Unfallgefahr als ein Ziegelstein. Werfen Sie den Quader senkrecht in die Luft und erteilen ihm hierbei eine Rotation um eine seiner drei Hauptachsen. Die Rotation des Quaders um seine Hauptachse mit dem größten oder kleinsten Trägheitsmoment bleibt während des Fluges stabil. Aus der Rotation um die Hauptachse mit mittlerem Trägheitsmoment wird schnell eine Nutation — nach meinen Beobachtungen spätestens auf dem Hochpunkt der Wurfparabel. Übrigens können Sie mit dieser einfachen Methode die ungefähre Lage der Hauptachsen beliebiger Körper bestimmen.

Ein gemäß Bild 3.9 über einen Faden angetriebener Quader ?? Nach Demtröder, 1994. ??

rotiert stabil, wenn der Faden mit der größten oder kleinsten Hauptachse (freie Achsen) zusammenfällt. Wird er so aufgehängt, daß der Faden mit dem mittleren Trägheitsmoment zusammenfällt, so springt der Quader bei schneller Rotation um in die dargestellte Rotation um die Achse mit größtem Trägheitsmoment.

 

 

 

 

I.3.6 Polhodie- und Herpolhodiekurve des symmetrischen Kreisels

 

 

Beim symmetrischen Kreisel haben beide Ellipsoide je zwei gleiche Halbachsen. Ihre Schnittkurve, die Polhodie, ist ein Kreis. Daher wird auch die Herpolhodiekurve ein Kreis (Bild 3.10, vgl. Bild 3.5 - Kegeldarstellung).

 

 

 

 

 

 

Heimversuch III:

Werfen Sie Ihren Bleistift durch die Luft. Während der Stift um seinen Schwerpunkt nutiert, beschreibt dieser die Wurfparabel im Raum. Versuchen Sie hierbei, dem Bleistift eine hohe Rotationsgeschwindigkeit um seine Mine (Figurenachse) zu erteilen. Sie werden feststellen, daß es nahezu unmöglich ist, den Stift ausschließlich eine Rotation um seine Figurenachse rotieren zu lassen - fast immer erteilen Sie dem Stift auch einen Drehimpuls Lx senkrecht dazu, und der Stift nutiert.

Da der Stift ein prolater symmetrischer Kreisel ist, liegt die momentane Drehachse w stets zwischen der Drehimpulsachse und der Figurenachse (Bild 3.11a). Die Punkte der Figurenachse beschreiben daher eine der Herpolhodiekurve ähnliche Kurve, in unserem Fall mit größerem Öffnungswinkel. Anhand dieser Kurve, die der Stift in die Luft "zeichnet" können Sie sich bei mehreren Würfen ein Bild der Herpolhodiekurve machen.

 

 

Analytische Lösung der Eulerschen Gleichungen

für den kräftefreien, symmetrischen Kreisel ?? Nach Honerkamp/Römer, 1993. ??

 

Auf analytischem Weg gelangen wir hier zu denselben Ergebnissen,

wie oben auf geometrische Weise.

 

Für den kräftefreien, symmetrischen Kreisel gilt M = 0 und Ix = Iy ¹  Iz

und die Eulerschen Gleichungen lauten nun mit der Abkürzung

 

, und .

 

Hieraus folgt:

 

und sowie

 

w x = B cos A t , w y = B sin A t und w z = const.

 

Der Vektor der momentanen Winkelgeschwindigkeit w läuft im körperfesten System auf einem Kegelmantel gleichförmig um die Figurenachse. Die Winkelgeschwindigkeit dieser Umlaufbewegung ist A. Es gilt |A| = |w F|.

 

Die Eigenrotation wz des Kreisels ist also zeitlich konstant, während wx und wy harmonisch oszillieren. B = = w ist die betraglich konstante Winkelgeschwindigkeit senkrecht zur Figurenachse.

 

Die Vektoren L und w -ebenso: w F (t) und W Nut (t)- liegen stets in einer Ebene,

 

die durch ez (t) und w (t) = w x ex(t) w y ey(t) aufgespannt wird

 

und die feste Richtung L enthält, denn es ist

 

L  = Ix [w x ex (t) + w y ey (t)] + Iz w z ez (t)

= Ix w (t) + Iz w z ez (t) 

= L + Lz.

 

Oben in der graphischen Darstellung betrachteten wir die Momentaufnahme der Bewegung zu dem Zeitpunkt, zu dem wy ey(t) = 0 ist. Wir legten o.B.d.A. die x-Achse in diese Ebene und konnten so w  = w x setzen.

 

Die Nutationsbewegung von w und ez geschieht gleichförmig auf Kegelmänteln um L. Die Winkelgeschwindigkeit WNut dieser Nutation ergibt sich durch Zerlegung von w in Komponenten in Richtung von ez und L:

 

Mit L = Ix w (t) + Iz w z ez (t) <=> w = [ L - Iz wz ez (t) ] / Ix

folgt

w   = w z ez (t) + w

w z ez (t) + [L - Iz w z ez (t)] /Ix

w z ez (t) - Iz w z ez (t) / Ix + L /Ix

(3.6)w z ez (t) (Ix - Iz)/Ix + L / Ix.

 

Die Komponente in ez Richtung hat wieder die Größe |A|=|wF|,

und wir sehen, daß wF = A ez (t) und W Nut =L / Ix.

 

Bei der Beobachtung nimmt man die Drehung um die Figurenachse wz und die Drehung um die raumfeste Impulsachse W Nut war. Die Addition dieser beiden Drehungen entspricht jedoch nicht der momentanen Drehachse w .

Betrachten sie die Momentaufnahme in diesem infinitesimal kleinen Moment. Es finden zwei Drehungen statt:

1. die Drehung wz um die Figurenachse,

2. die Drehung wx um die zur Figurenachse senkrechte Achse wx. Der Kreisel kippt in diesem Moment tatsächlich um die x-Achse— der prolate Kreisel in Bild 3.12 nach vorne, der oblate Kreisel nach hinten in die Papierebene hinein. Die Addition dieser Drehungen entspricht der momentanen Drehachse w .

Beim oblaten Kreisel zeigt wF nach (3.6) in die zu wz entgegengesetzte Richtung. Dies ist als Betrachter im raumfesten System schwer vorstellbar - beide Kreisel, auch der oblate, nutieren augenscheinlich gleichsinnig zu Ihrer Eigenrotation wz. Die verschiedenen Umlaufrichtungen der momentanen Drehachse um die Figurenachse im körperfesten System können Sie sich anhand des Bildes 3.5 veranschaulichen. Ebenso erkennen Sie wF, wenn Sie den rollenden Ellipsoiden in Bild 3.11 "dynamisch" betrachten.

Bei einem Translationsvektor v, dargestellt in einem "gestreckten" Koordinatensystem (Bild 3.13), kann man sich vy als Relativgeschwindigkeit bei Beobachtung aus einem mit vx bewegten Wagen einfacher vorstellen.

 

In Bild 3.12.a) ist die rote Kreisbahn der Figurenachse in der Wiedergabe nach oben verrutscht - der Vektor L verläuft durch ihren Mittelpunkt.

 

 

I.3.8 Stoß auf die Figurenachse des Kreisels

 

Wir nehmen an, daß auf die Figurenachse eines schlafenden Kreisels (Lz = Iwz) im Abstand a vom Stützpunkt 0 ein senkrechter Schlag vom Impuls p ausgeführt wird. Dieser ergibt einen Drehimpuls La ´  pS, der zu dem ersten vektoriell zu addieren ist.

Der Stoß verlagert die Drehachse in die neue Lage L’, um die der Kreisel von nun an nutiert. Der Öffnungswinkel des Nutationskegels beträgt

(3.7)

 

 

Die neue Lage der Figurenachse ist wie im Bild 3.14 dargestellt, senkrecht gegen den Stoß verschoben, was bei beiden von mir untersuchten Kreiseln (oblat und prolat) deutlich zu sehen ist. Man erkennt das Bestreben des Kreisels zum gleichstimmigen Parallelismus der Drehachsen: Der Kreisel sucht seine Drehung mit dem Drehsinn des Stoßes zur Deckung zu bringen.